Gastbeitrag von Berit Sellmann
Regenwaldmädchen
Die Sonne wirft ihre Strahlen über die schneebepuderte Straße wie einen letzten Abschiedsgruß aus Deutschland. Meine Freundin umarmt mich zum Abschied. Ihr Blick ist so trüb dabei. Er wirkt wie ein Kontrast zum hellen Schein der Sonne, das sich vom Lack des Autos reflektiert, als ich den nächsten Schritt gehe auf die Eingangshalle, die British Airways vertritt.
Berit Sellman im Dschungel auf Borneo
Schon länger hat sich der Wunsch in meinen Kopf geschlichen, einige Zeit im Dschungel zu verbringen. Gefunden hatte ich die Hosts David und Jackie – die in Borneo zwei Stunden im tiefen Dschungel leben – durch Workaway.info – ein Portal, das freiwillige Helfer weltweit mit Gastgebern verbindet, die helfende für verschiedenste Projekte suchen. David und Jackie suchen Freiwillige, die ihnen nicht nur bei alltäglichen Arbeiten unter die Arme greifen, sondern auch beim Bauen eines Longhauses helfen, das den Dschungel auch Touristen öffnen soll. Im Austausch eines fünf-Stunden Arbeitstages werden Freiwilligen bei David und Jackie sowohl Unterkunft als auch drei Mahlzeiten am Tag gestellt.
Zweifel und Abenteuerlust
,,Berit, tu uns das nicht an!‘‘ Der flehenden Blick meiner Mutter brennt sich vor mein inneres Auge, so wie in letzter Zeit so häufig das schlechte Gewissen darüber, dass der Wunsch nach Abenteuer so sehr in mir zu lodern scheint, dass er jegliches Interesse an den Sorgen meiner Eltern verbrennt.
,,Von mir aus machst du das!‘‘ Selbst beim Gedanken an die unerwarteten Worte meines Vaters hüpft mein Herz wieder. Über gelegentlich auf dem Weg liegende Zweifel.
,,Internet nur ein Mal die Woche, keinen Strom und nur Regenwasser!‘‘, habe ich jedem, zugegebenermaßen, nicht ganz ohne Stolz erzählt, der mich in letzter Zeit nach meinen weiteren Reiseplänen gefragt hatte. Bevor der Ernst des Lebens mich in seine Finger bekommt, um mich auf der Universität abzusetzen.
Das leicht mulmige Gefühl, mich wieder auf das Fleisch Essen einstellen zu müssen, überfällt mich für ein paar Sekunden. Nachdem ich meinem Gastgeber mitgeteilt hatte, dass ich Vegetarierin bin, schickte David eine sichtlich gereizte Mail – Er hoffe, dass ich zurzeit wenn ich ankomme, „Alles Esserin“ sei. Die Mail hatte mich nachdenklich gemacht. Einen Moment lang. Oder zwei. War ich auf dem richtigen Weg? Mit einem leichten ,,I will manage with the food!‘‘, hatte meine Abenteuerlust über die Zweifel gewonnen. Zusammen mit Tüten von Fertigsuppen, Haferflocken, Schokolade, Müsli und Nüssen hatte ich sie in meinen Koffer gesperrt.
Der Siegesflug der Abenteuerlust
Der tropische Regen, der an mein Fenster peitscht, als ich endlich in meinem Bus von Kota Kinabalu nach Lawas sitze, schafft es nicht, die Fragen aus meinem Kopf zu waschen.
Was erwartet mich im Dschungel? Wie werde ich ohne Internet klarkommen? Wie wird meine Familie damit klar kommen, einen Monat kaum von mir zu hören?
Ich verfolge die Tropfen des Regens wie die Vorstellung, es wären Tränen, die mein Gesicht überrollen und die plötzliche Melancholie, die mich überkommt. ,,Es wird auch ein deutsches Paar mit Berit bei uns leben und ein amerikanisches Mädchen, das am selben Tag ankommt, wie Berit. Sie wird also viel Gesellschaft haben.‘‘, höre ich meine Mutter stolz die Worte vorlesen, die mein Gastgeber David ihr zuvor per Mail geschickt hatte, während mein Blick sich an den Regentropfen einen Weg vorbei auf das Leben hinter der Fensterscheibe kämpft: geprägt von sich aneinander quetschenden Geschäftsreihen, als können sie nur in versammelter Mannschaft zusammen dem Druck der Stadt Stand halten. Ausgelöst durch die Enge. Die Menschenmassen, die aus den Kaufhäusern hetzen. Durch ungeduldig hupende Autofahrer und dem Lärm der Motorräder vor uns. Mein Kopf dröhnt leicht, er beklagt sich bei mir für die fehlenden Stunden Schlaf, die ich ihm durch die lange Reise geklaut habe. Ich schreie stumm nach Kaffee. Meine Lider fallen fast zu.
Doch es ist, als würden die Holzschindelhäuser, vor denen Wäscheleinen im seichten Wind zittern und die sich auf Stelzen über die von Bananenstauden und Palmen gerahmten Reisfelder so hoch recken – als wollte sie einen Blick auf die sich hinten auftürmende Berge werfen – sie offen halten. Das Grün nimmt Überhand, es quillt über in Wiesen, Palmblättern, Bananenstauden und weit aufragenden Berge im Hintergrund, geschmückt von hohen, grünen Baumkronen.
Der Bus hält in der Wallachei. Zwei „Orang Puteh“ – weiße Menschen, wie die Einwohner Borneos Touristen nennen – steigen in den Bus, lächeln mir kurz zu, als sie an mir vorbei laufen. Auch in mir hatte die Gewissheit, dass ich das Abenteuer Dschungel mit drei anderen Reiseverrückten jungen Leuten teilen darf, gefreut.
Würde man die Information, dass ein Paar kommt mit der Information, dass sie am selben Tag wie ich ankommen, vom dem amerikanischen Mädchen klauen, dann könnte man beinahe glauben, die beiden sympathischen Gesichter würden gleich mit mir an der Bushaltestelle in Lawas sitzen und auf David warten.
Die Hitze schwallt in mein Gesicht, eine drückende Hitze, die die Tatsache, dass ich keine winkende Hand und keinen weißen Land Rover wie den, den ich auf den Bildern auf workaway.info gesehen hatte, auf den Straßen ausmachen kann, tiefer in meinen Kopf zu drücken scheint. Ich spüle an der Cafeteria nebenan einen kalten Kaffee herunter wie die plötzlich auftauchende Sorge, vergessen worden zu sein. Betrogen worden zu sein. Meine Lider scheinen nicht mehr so schwer zu sein, dass sie meine Augen schließen würden und womöglich noch David und Jackie verpassen würden. Oder haben wir uns längst verpasst? Meine Augen wandern über den von Palmen gesäumten Parkplatz vor der Bustation. Über den Platz hinter der Busstation. Niemand. Kein Europäer, keine winkende Hand. Der Gedanke, wie ich mich mit meinen Gastgebern verstehen würde, überrennt den unliebsamen Gedanken, vergessen worden zu sein.
,,Berit‘‘, als ich der tiefen Stimme hinter mir folge, blicke in die Augen eines geschätzt 65 jährigen Mannes, der die Hand nach mir ausstreckt. Der mir beinahe stumm bedeutet, mitzukommen. David. Ich laufe hinter ihm her, meine Augen geheftet auf seine dreckige Rangerkleidung. So habe ich mir sein Äußeres vorgestellt. Mit meinem schweren Koffer stolpere ich hinter ihm her, einige Straßen weiter. Ich spüre die Fragen in mir über Schlaglöcher hüpfen. Auf und ab. Ist David wohl wirklich so ein kalter Typ, wie ich in mir ausgemalt habe? Wie viel wird er von mir verlangen, im Gegenzug dazu, dass ich die Erfahrung machen darf, im Dschungel zu leben?
,,Ach.‘‘, antwortet er auf die Aussage, die ich eben gemacht habe: ,,Die Landschaft ist atemberaubend! Dann musst du erst einmal unser Haus sehen, in den Regenwald eindringen!‘‘ Eine Frau mit Telefon hastet an uns vorbei, als hinter David auf einen freien runden Tisch zusteuere, auf dem ein zerkratzter Laptop steht und zwei Getränke, in denen Eiswürfel schwimmen.
,,Du wirst alleine sein!‘‘ Die Worte fallen schwerer als ich, als ich mich auf den Plastikstuhl fallen lasse. ,,Das deutsche Paar ist gestern wieder von uns abgereist, sie hatten schon einen Flug gebucht, von dem ich nichts wusste.‘‘ Leicht geknickt nicke ich den Versuch weg, mir meine leichte Enttäuschung nicht anmerken zu lassen. ,,Die Amerikanerin, die eigentlich auch heute ankommen wollte, hat sich plötzlich nicht mehr gemeldet.‘‘, fährt er fort, in dem Moment, in dem ich sehe, wie sich die etwas fülligere Frau, die zuvor an uns vorbei gelaufen ist, sich an den Tisch setzt. Sie beachtet mich kaum und beantwortet die Frage, wo Jackie bleibt, nicht, die sich in meinem Kopf dreht wie die Eiswürfel in dem Glas vor dem Stuhl, auf den sie sich jetzt fallen lässt. Bevor sie es wieder absetzt. Mich ansieht. Und sich mir als Jackie vorstellt. Die Frau, von der andere Freiwillige in ihren Erfahrungsberichten als so caring vorgestellt hat, wirkt leicht hart auf mich. Unsere Gesprächsthemen finden sich wie von selbst, werden ab und zu durchbrochen von SMS meiner Mutter, deren Erleichterung ich mir einbilde über das Handy zu spüren.
Der Dschungel wartet
Meine Augen hängen länger am Fenster, umso weiter wir uns von der kleinen Stadt Lawas entfernen, über die David sich jetzt auslässt. ,,Lawas ist so klein. Es gibt dort nicht ein Mal alle Lebensmittel, die wir benötigen. Kein einziger, gescheiter Supermarkt!‘‘
Ein 50-Seelen Dörfchen auf dem Weg in den Dschungel – Foto Berit Sellmann
Dass David und Jackie zum Kaufen von Lebensmittel extra in das sechs Stunden entfernte Kota Kinabalu fahren, erstaunt mich mehr, mit jedem Stein, der auf der unebenen Straße liegt und den Land Rover so sehr aufschüttelt, dass mein Rucksack beinahe von meinem vor Aufregung unruhigen Beinen rutscht. Vereinzelte Holzhäuser legen sich in die Dschungeltäler, als wären sie herunter geschüttelt worden von den riesigen Bergen im Hintergrund, dicht bewachsen von Bäumen, dessen stolze Kronen sich in den blauen Himmel recken. Ein einziges Labyrinth in den Weg zum blauen Himmel, der nach einigen Kilometern von vereinzelt grauen Wolken durchsetzt ist. ,,Es könnte sein, dass es gleich regnet!‘‘, sagt David. Steigt aus und versichert sich mit dem Schnallen eines dritten Gurtes über die Ladung, dass diese nicht nass wird. Im Augenwinkel sehe ich das Lächeln, das sich im Seitenspiegel auf meine Lippen legt, während ich mit geweiteten Augen die atemberaubende Landschaft abtaste. Die Berge reichen so hoch, als wollten die Spitzen der Baumkronen die Wolken berühren. Als wollten sie den Regen aus ihnen kitzeln, damit er jene Vorstellung von Luxus von mir wäscht, mich säubert für ein Leben in völliger Ursprünglichkeit. Kaum, dass vereinzelte Tropfen meine Haut treffen, fällt mein Blick nach rechts an den Straßenrand. Ein massiger Büffel mit Ring in der Nase wird knapp von uns aufgehalten, auf die Straße zu laufen. Eine Straße, die man vielleicht nicht Straße nennen sollte. Sondern eine schmale Durchbrechung der Bäume.
,,Noch sieben Kilometer von hier!‘‘ Ich schlucke vor Aufregung. ,,Dann sind wir beinahe da. Dann fehlt nur noch die zwei Kilometer lange Straße zu unserem Haus.‘‘ Dass David die Stille, die im Auto herrscht, die angestaut wurde durch mein Erstaunen, genau an dem Punkt unterbricht, an dem ich das Gefühl habe, dass sie zu lange anhält, schmeißt das Bild, das ich von ihm habe, ein kalter Mann zu sein, aus dem Fenster in den Staub, den ein an uns vorbei fahrender LKW beladen mit Baumstämmen, verursacht. ,,Dieses Holy geht nach China!‘‘, sagt David. ,,Die Regierung tut so, als würde sie den Regenwald vor der Abholzung schützen. Halten ihr Bild durch ein paar lächerliche National Reservate aufrecht. Doch im Grunde geht es doch nur um Geld.‘‘
Eine schmale, brüchige Straße, die kaum breiter ist als mein Bett im Hotelzimmer, schlängelt sich in eine Höhe wie eine wendige Schlange. Wie die Stimme einer meiner Freundinnen in meinen Kopf. ,,Ich habe gerade eine Dokumentation über Borneo gesehen, in der gesagt wurde, Borneo ist das Land, in dem Schlangen vom Himmel fallen! Tut mir Leid, aber das hat mir gerade echt den Rest gegeben!‘‘, verstärkt die Erwartungsfreude, die mein Herz überfällt, umso weiter sich der Land Rover in die Höhe kämpft. Umso mehr sich seine Räder unter dem unebenen Grund drehen.
,,Ich bin noch nie so eine steile Straße hoch gefahren. Krass.‘‘ ,,Willst du aussteigen und den Rest selber laufen?‘‘ Ich schüttele den Kopf. ,,Ich habe doch keine Angst!‘‘ ,,Ja, aber du wirst es mögen.‘‘, sagt David und mit einem Knall der Autotür stehe ich alleine im Dschungel und sehe dabei zu, wie der tapfere Land Rover von der nächsten Kurve verschluckt wird. Die Äste der Bäume bilden ein Tor über mir, durch das ich schreite, während ich dem schmalen Pfad folge. ,,Dieser Weg ist ein Privileg und du musst ihn genießen‘‘, scheinen mir die Tiere des Dschungels aus vereinten Kräften zu zu schreien. Ihre kräftigen Stimmen, die den Dschungel zu einem Orchester aus Geräuschen machen, wurden zuvor durch das laute Stöhnen des Land Rovers überdeckt. Ich bleibe stehen.
Ein neugieriges Äffchen – Foto Berit Sellmann
Ein Holzhaus mit Veranda, das stolz auf einer von bunten Blumen überlaufenden Anhöhe thront, von der jetzt zwei Hunde auf mich zu rennen, als würden sie mich schon ewig kennen. Ich streichele durch ihr raues Fell. Dann fliegt mein Blick zurück zum Haus hinauf, in dem David und Jackie seit nun zehn Jahren im tiefsten Dschungel Leben. Ein Leben ohne Luxus.
,,Hier unten ist unser Workshop, du hast dein Zimmer hier, hier lebt auch Jackies Mutter.‘‘ Als ich die faltige Hand der alten Frau schüttele, fühle ich ihre 100 Jahre beinahe. Sie zeigt auf mich. Formt mit ihrem Finger eine 1. Dann auf sich selbst. Formt wieder eine eins. Lächelt. Formt eine zwei. Ja, jetzt sind wir zu zweit, denke ich, als ich mein Zimmer betrete, ein einfacher, kleiner Raum, mit Hochbett, einer nackten Glühbirne, die nicht der einzige Platz ist, an dem sich die Leichen von Insekten suhlen. ,,Nachts legst du am besten ein Handtuch vor deine Tür, damit die Ungeziefer nicht in deinen Raum kommen!‘‘
Mein Grinsen, als ich einige Sekunden später auf das Bild von Jackies Mutter starre, wie sie auf den Dschungel schaut, wirkt im Zusammenhang mit fiesem Ungeziefer nicht ganz passend. Dann nicke ich und ziehe meinen Blick von den Falten der Weisheit, die sich über den halbnackten Rücken der Frau ziehen. Danach zeigt David mir ihr Hausreh Megan, das nach einer Teilnehmerin des Miss World Contests benannt wurde. ,,Ein Freund hat sie uns als Waise gebracht, als sie ein paar Tage alt war.‘‘ Ich sehe in Davids Augen die Freude darüber, dieses Tier bei sich haben zu dürfen. ,,Ihre Mutter ist erschossen worden.‘‘
Ein Arbeitstag im Dschungel
,,Triff mich gleich am Workshop unten!‘‘, sagt David ,,Ich komme in ein paar Minuten.‘‘ Der Land Rover, beladen mit langen, schweren Paletten Wandverkleidung, die wir gestern abgeholt hatten, wartet beinahe fast so ungeduldig, aber weniger aufgeregt am Workshop, wie ich. David fährt die Straße vom Workshop in Richtung ihres Hauses hoch, biegt dann aber links ab. Versteckt hinter Bananenstauden und dichten Ästen wartet das Longhouse, das David und Jackie noch dieses Jahr hoffen, für Touristen eröffnen zu können. ,,Wir haben einfach zu viele Projekte am Laufen!‘‘, kommentiert er meine stumme Verwunderung darüber, dass es hier im Dschungel, so viel zu tun geben kann. Mein Blick wandert über das Longhouse, das sich ans Ende der freien Grasfläche der Lichtung duckt, als schäme das noch unfertige Gebilde sich vor prüfemden Blicken. ,,Seit drei Jahren bauen wir daran. Am meisten Jackie und ich, aber unsere Freiwilligen konnten uns ab und zu unter die Arme greifen.‘‘ David und ich ziehen die erste Palette heraus und transportieren sie die Treppe zum Haus hinauf, um sie dann auf den bereits vorhandenen Paletten abzulegen. Meine Armmuskeln streiken. Der Schweiß rennt über mein Gesicht, während David kopfschüttelnd meint: ,,Wir müssen Jackie rufen, das schaffen wir nicht weitere elf Mal zu weit alleine!‘‘
Ich bei der Arbeit vor David und Jackies Haus
Das Zittern der Bäume
,,Hörst du das?‘‘, fragt David am Frühstückstisch. Ich sitze mit meinem Instantkaffee und dem Müsli in der Hand auf der Veranda, verträumt und in Gedanken an meinen gestrigen Tag, den ersten Tag im Dschungel. Ich schüttele die Erinnerung ab und wende mich an David. Mein Blick folgt seinem auf den steil aufragenden Berg vor meiner Nase, an dem die Bäume sich klammern, als wäre das ihre einzige Hoffnung auf ein Überleben. Doch vor der Säge können ihre Holzfasern nicht überleben. Ich lasse meine Rückblende an gestern den Berg herunter rutschen und wende meiner Aufmerksamkeit David zu. ,,Wieder jemand, der Bäume fällt. Das ist nah!‘‘ In seinen weit aufgerissenen Augen liegt eine plötzliche Sorge. ,,Wenn das auf unserem Grundstück ist, dann…‘‘ Jackie und David besitzen ein 300ha großes Stück des Dschungels. ,,Ich gehe jetzt und schaue mir das an!‘‘ Ich setze meinen Kaffee ab und schaue ihn an, wie die Gesichter seines und das seiner Frau sorgenvoll in die Ferne blicken, gleichzeitig eine stumme Bitte an David sendend, ihn durch den Dschungel begleiten zu dürfen. ,,Berit, willst du mitkommen?‘‘, fragt er mich dann, als hat er meinen Blick lesen können. ,,Gerne.“ ,,Zieh dir noch ein paar Socken über die Socken, die du schon anhast! Dort lungert es von Blutegeln.‘‘
Die unangenehm klebrige Hitze nimmt meine Füße ein, wie ein Blutegel, der sich durch zwei paar Socken kämpfen kann, als ich einige Minuten später mit David am Ende ihres Longhauses stehe, dessen Rückwand einen Startlinie in den Regenwald zu legen scheint. Ein schmaler, kaum erkennbarer Pfad leitet uns, unsere Sorge und meine Aufregung und Neugierde durch den tiefen Dschungel, in dem die Arme der Pflanzen nach mir greifen, als wollten sie sich an all der Zerstörung rächen, die die Menschen ihnen angetan haben.
Meine schon leicht zerkratzten Beine folgen Davids Schritten und acht Hundepfoten durch das Baumlabyrinth, das mich durch den dichten Zusammenschluss der Baumkronen beinahe daran zweifeln lassen könnte, dass ich nicht in einem geschlossenen Raum wäre. Und dass ich träume. Wären da nicht die vielen Stimmen der Vögel, die sich darauf einigen, von Freiheit zu singen. Ich lächele und staune, während mein Blick versucht, sich einen Weg zum Blau des Himmels zu suchen, bis sie auf ein Schild treffen: DILARANG MEROKOK (Jagen verboten) mahnen rote Großbuchstaben die Versuche der Menschen, den Tieren ihren natürlichen Lebensraum zu nehmen. ,,Das habe ich hier ausgehangen. Es wäre schön, wenn sich mehrere Leute daran halten würden.‘‘, höre ich Davids Stimme durch plötzliches Wasserplatschen.
Der Fluss, der das Dschungelgrundstück meiner Gastgeber begrenzt
,,Manchmal höre ich Schüsse und Hundebellen, ganz in der Nähe.‘‘ Ich sehe noch die wedelnden Schwänze von Davids Hunden, dann verschwinden sie im Fluss, der David und Jackies Dschungelgrundstück begrenzt, wie Kinder auf einem Spielplatz. Ein paar Minuten, nachdem sie mit nassem Fell wieder aus dem Nassen springen, bleibt David abrupt stehen. Er begutachtet starr den Boden. Winkt mich stumm zu sich. Deutet auf einen Fußabdruck im Matsch. ,,Siehst du? Ein Abdruck der Schuhe, die die Locals tragen.‘‘ Sein Flüstern macht die Situation bedrohlicher als sie ist. Oder?
Er reicht mir eine Hundeleine und die Worte: ,,Hier. Falls wir es mit irgendjemanden zu tun bekommen.‘‘ Der abgespannte Ausdruck auf seinem Gesicht verstärkt sich, als wir ein paar Minuten später ein Hundebellen hören. Er hebt den Zeigefinger. ,,Ein Hund.‘‘, sage ich. Er schüttelt den Kopf. Dann stiehlt sich ein der Situation gegenüber unpassendes Lächeln auf sein Gesicht. ,,Das ist ein Muntjakhirsche! Hört sich an wie ein Hund, stimmt’s?‘‘ David lauscht. Das zweite Bellen tritt auf die Geräuschkulisse des Dschungels. ,,Es ist höher als Hundebellen. Aber es hört sich an wie ein Hund.‘‘
Auf unserem Weg zurück, unterbricht David die Freude, auf das, was mich in meiner Vorstellung in meiner verbleibenden Zeit im Dschungel erwartet, mit einem zufriedenen Lächeln. ,,Schön, zu wissen, dass es hier noch Wildleben gibt.‘‘
Niemals hätte ich in diesem besonderen Moment – in dem die Blätter unzähliger Gewuchse gleichsam die Arme nach mir auszustreckten schienen wie die Abenteuerlust und das gespannte Erwarten darauf, was mich in der restlichen Zeit im Dschungel Borneos erwartet – damit gerechnet, dass ich den Dschungel vor der Zeit verlasse, die ich mir in meinem Kopf zurecht gelegt hatte.
Ich hatte drei Monate im Dschungel leben wollen. Drei Monate abgeschnitten sein wollen von der Zivilistion, deren Existenz mir lediglich durch die ein mal wöchentlichen Einkaufs-Besuche in der drei-Stunden entfernten nähesten Kleinstadt wieder bewusst werden sollte.
Genau so wenig jedoch, hätte ich von meinen Gastgebern erwartet, dass sie Menschen wie Sklaven behandeln konnten. Ich erinnere mich zu gut an den Moment, in dem Jacob (*Name geändert), mein Gastgeber, bei einem dieser Einkaufsbesuche hinter seinem Laptopbildschirm verschwindet, um einige Minuten wieder hervor zu schauen. ,,Nächste Woche bekommen wir einen neuen Freiwilligen. Andrew. Ein bisschen Manpower können wir noch gebrauchen, oder?“ Ich lächelte und lasse meine Erinnerungen unter der erbarmungslosen Äquatorsonne zurück in die letzten Tage rennen: Die Hitze prallte auf meinen Kopf, als ich das Gras für das Hausreh Megan schneide, als ich mit Jacob zusammen auf die Dschungelstraße fahre, um dort Steine aufzusammeln, in die riesige Trecker-Schüppe lade, um sie Stunden später auf deren 2 Kilometer langen Privatstraße zu verteilen, von der ich bei meiner Ankunft behauptet hatte, ich habe noch nie so eine extreme Steigung gesehen.
Mit Andrew kam die eine gespannte Hoffnung, meine Zeit im Dschungel mit einem Menschen zu teilen, der die selben Erfahrung macht wie ich. Mit Andrew kam Erfahrung.
Beinahe fühlte ich mich nicht qualifiziert genug für die Projekte von meinen Hosts, als ich sah, wie Augen leuchteten, als er vor las. ,,Er hat Landschaftsbau studiert! Dann könnt ihr euch an den Zaun machen. Das ist ein Projekt, was ich seit längerer Zeit angehen will!“
Die folgenden Tage waren bestimmt vom Abstand Messen mit einem sturen Maßband, das sich immer selbständig zu machen schien, vom Phäler in die mindestens ebenso sture Erde zu hauen, von Schweiß, der auf meine Knie tropft, während ich Holzpfahl für Holzphal aufrecht halte, den Andrew zuvor spitz geschnitzt hat, und darauf warte, bis er ihn mit all seiner Kraft in die Erde haut. Und vom Erkennen, dass der Schweiß sich in Regentropfen verwandelt. Der Schweiß mischt sich mit den Regenwasser in Andrews Stirnrunzeln, als er mir seine Uhr hin hält.
,,Wir haben ja schon über sechs Stunden gearbeitet!“ ,,Dann lass uns die Geräte herein räumen, wenn es jetzt sowieso anfängt zu regnen.“ Die leichte Rage, die ich gestern nicht zeigen konnte, stiehlt sich in meine Stimme. Während wir die Geräte unter den Dachvorstand bringen, kommen die Gedanken an gestern wieder in meinen Kopf; Ein Tag, den wir frei haben sollten, ein Tag, an dem die Freude, mit unseren Freunden und Familie in Kontakt zu treten, weg gespült wurde mit Jacobs Worten. ,,Während wir in die Stadt fahren, macht ihr den Zaun weiter?“ Es war ein nicht gehaltendes Versprechen ihrerseits, dachte ich, aber was sollte das schon ausrichten gegen die Erfahrung, die wir hier im Dschungel ohne sie niemals machen konnten? Wir hatten stumm genickt, uns angeschaut und vorsichtig Augenbrauen hoch gezogen, nur leicht, wie unsicher darüber, ob unsere Enttäuschung gerechtfertigt sei, sind zusammen vom Frühstückstisch aufgestanden, um die Enttäuschung zusammen mit den gespitzen Holzpfälern in die Erde zu hauen.
,,Warum räumt ihr ein?“ Meine Erinnerungen an gestern hatten wohl auch meine Sinne im Griff. Erst, als ich ein lauteres ,,Andrew!“ höre, schaue ich auf. ,,Es hat angefangen zu regnen und wir haben gute fünf Stunden gearbeitet.“ Ich bin erschöpft. Aber ich muss mich nicht anstrengen, um die Erschöpfung aus Andrews Worten zu lesen, die wahrscheinlich größer ist als meine eigene.
,,Wir sagen euch, wann ihr mit der Arbeit aufhören sollt. Die fünf-Stunden Regel lässt sich hier nicht anwenden.“ Vor meinem Auge wechselt das Bild des Profils meiner Gastgeber, auf der sie die tägliche Arbeitszeit mit fünf Stunden geantwortet haben sich ab mit Andrews vor Anstrengung verzerrtes Gesicht, während er die Posts in die Erde haut.
Immer noch höre ich Evies *(Name geändert) Flüstern in meinen Ohren ,,Er kann Engländer nicht ausstehen!“, nach dem sich deren Land Rover einige Tage später durch die steinige Dschungelstraße über Schlaglöcher kämpft, ähnlich wie mein Inneres mit den Fragen, ob Andrew und ich die richtige Entscheidung getroffen haben. Er ganz sicher, denke ich. Sein Nicht-Warm-Werden-Können mit Jacob beschränkte sich nicht nur auf abweisende Antworten von Jacobs Seite, die ich bezüglich Andrews sehr rücksichtsvollen Verhalten nie verstanden habe. Auch sind mir die abholden Blicke in seine Richtung nicht entgangen, nach dem er sich den Teller das dritte Mal auffüllte.
Die Hubbel auf der von dichtbewachsenen Bergen gesäumten Straße, schütteln jetzt endlich die Gewissensbisse aus mir heraus, um so näher wir uns der Stadt nähern. Obwohl Andrew derjenige war, der Erfahrung mit in die Arbeit fließen lassen konnte, war ich die jenige, die so so schonend angefasst wurde und der immer ein Lächeln geschenkt wurde. Es war falsch. Die Erinnerungen an den Moment, in dem Jacob mir mit verzerrtem Gesicht erklärte, ich habe den halben Wasserkanister leer gemacht, steigt in mir auf ,,Wenn das so weiter geht, kannst du nicht bleiben, Berit. Es regnet nicht!“ Dass ich mich nicht daran erinnern konnte, einen Wasserhahn je auf gelassen zu haben, kommt mir vor wie eine Entschädigung, passender werdend mit jedem Straßenschild, das nach zwei Stunden Autofahrt – ohne Worte aber voller Gedanken – die Bäume ablösen.
Tschüss Dschungel!
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