Meine Notizen sind ein Chaos, gleichsam wie mein Kopf, weil während der gesamten Reise Eindrücke, Gefühle, Momente auf mich eingestürzt sind. Und jeder davon mindestens zwei Seiten hatte.
Autor: Sarah Tekath
“Boah, geil, die Alte sitzt neben mir!” Irgendwie war ab dem Moment klar, dass mir der 10-Stunden-Flug nach Varadero sehr lang werden würde. Interessant war auch, dass die deutsche Stewardess den vornehmlich mittel- bis ziemlich alten Passagieren durch einen Übersetzungsfehler des spanisch/englischen Einreiseformulars anriet, bei der Frage, ob man fremdes Gepäck eingecheckt habe, unbedingt Ja anzukreuzen. Eventuell war ich auch die einzige Person des Fluges AB 7432, die kubanischen Boden betreten hat.
Um mir gleich mal an einem kubanischen Eisberg eine blutige Nase zu holen. Und dabei hatte ich mich so gefreut, die netten Damen und Herren am Einreiseschalter mit weltmännischem Spanisch begrüßen zu können. Kein Blick wird gehoben, der Finger deutet dorthin, wo ich zu stehen habe und genuschelt kommt die Frage, ob ich je in Afrika war. Ein Stempel wird in meinen Pass geprügelt, die Hälfte meines Visum mit dem Lineal schnurgerade abgerissen und dann werde ich begleitet von einem aggressiven Summton durch eine Spanplattentür entlassen. In eine andere Zeit, in eine andere Stimmung und Weltsicht.
Varadero:
Sturm fegt über die Küste, während Geier über dem Taxi schweben und petrolfarbenes Wasser an die Felsen bricht. Die Luft ist feucht, die Kleidung klebt, tropisches Karibikgefühl umarmt mich. Varadero ist sicher ein guter Einstieg für die erste Kubareise, und länger als zwei Tage nicht auszuhalten. Trotz Oldtimer, Strand und Sozialismusromantik fühle ich mich doch zwischen den All-Inn-Hotels bald wie am Ballermann. Dazu eine sowjetisch anmutende Kaufhalle auf Kubanisch. Wasserflaschen, Rum, Windeln, Kekse, Campingstühle, Tomatensauce. Mehr nicht. Kreativität aus Notwendigkeit. Und draußen dröhnt der Reggaeton so derb und laut, dass man seine eigenen Gedanken nicht mehr hört.
Während ich erschöpft ins Träumen versinke, tobt draußen der Sturm durch die Palmen, rüttelt an den Fensterläden und macht Hunde wütend.
Über Mantanzas nach Havanna:
Weiter per Viazul-Bus. Ein anderes öffentliches Verkehrsmittel ist ja für Ausländer, selbst mit Spanischkenntnissen, nicht zugänglich. Die Atmosphäre ist wie an jedem Busbahnhof dieser Welt. Schlafende Menschen, Füße auf Koffern, Check-in, Boarding. Bordtemperatur etwa 6 Grad.
Der Bus hält am Bahnhof von Mantanzas und die Sozialismusverträumtheit, in der ich bis dahin geschwelgt bin, tritt beiseite und die Realität ohrfeigt mich quer übers Gesicht. Bröckelnder Plattenbau, bei dem sich niemand mehr um einen Anstrich bemüht, weil es ohnehin egal ist, lungernde Menschen, Perspektivlosigkeit, Langeweile. Mädchen in Schuluniformen, mit zu früh und zu viel Make-Up. Jungen in, wüsste ich es nicht besser, würde ich glauben, FdJ-Trachten mit hellblauen Halstüchern. Die Gesichter einer französischen Reisegruppe im Bus verhärten sich. Wie schön, dass sich zwischen Wunsch und Wirklichkeit noch immer eine Fensterscheibe befindet.
Havanna:
In Havanna falle ich aus dem Viazul und direkt einem Casa-Besitzer in die Arme, der Anfang meines bisher größten Fehlers dieser Reise. Die Wohnung seiner etwa 90-jährigen Mama sieht aus wie ein Museum für den Sohnemann, das Geländer an der Treppe hängt am seidenen Faden. Mein Zimmer ist tannengrün, mein Kopfkissen auf dem unbezogenen Bett wird von mehreren Schichten Klebeband zusammengehalten. An den Wänden ziehen sich zwei Bahnen flauschigen Schimmels von der Decke bis zum Boden. Ich ergreife die Flucht. Natürlich nicht, ohne die Kommission in den Händen der Dame zu lassen, die sie innerhalb weniger Minuten selbstverständlich schon an jemanden weitergegeben hat. Ebenhier bin ich gerade an meine erste persönliche Grenze geraten.
Den Himmel über Kuba finde ich aber im Casa Prado Colonial mit einem eleganten 3,5 Meter hohe Decken und aufrichtig liebevolle Betreiber. Wer also von der vergangenen Klassik und dem mondänen Stil Havannas träumen will, dem sei dieser Ort mehr als ans Herz gelegt.
Offenbar begleitet mich der Sturm. Wütende Wellen schwemmen den Ozean über den Malecon, die Gischt verwischt mir die Linse und jeder neue Einschlag schüttelt die Kaimauer. Am Fort auf der anderen Seite beugen sich die Palmen dem Wind und mir wird die Kraft karibischer Natur klar, die so leicht mit Smaragdwasser und Sonne täuscht.
Meine erste Nacht in Havanna und ich habe mich hoffnungslos verlaufen. Dass es so gut wie keine Straßenbeleuchtung gibt und jede einfallende Häuserfassade gleich aussieht, hilft wenig bis gar nicht. Hilflos und vermutlich sichtlich nervös stehe ich an einer Straßenecke und versuche, mich auf meiner eigenen geistigen Straßenkarte selbst wiederzufinden. Die “Taxi, Taxi?” und “Oye, Morena, Taxi?”- Rufe männlicher Stimmen verschwimmen miteinander und stressen mich nur noch mehr. Plötzlich hält ein Coco-Fahrradtaxi neben mir. “Hast du dich verlaufen?”, fragt die sanftdunkle Stimme in diesem für mich immer noch herausfordernden Kuba-Sprech. Er selbst ist dunkel, tiefbraune schöne Haut hebt sich von der Nacht ab, gutmütige Augen, ruhiger Blick, vielleicht ein paar Jahre jünger als ich. Ich erkläre ihm, wo ich hinwill und muss ihn mehrmals bitten, seine Antwort für mich zu wiederholen. Gelassenheit im Blick, Ruhe und Ernst. Eine Begegnung auf Augenhöhe, obwohl er tiefer auf seinem Sattel sitzt. Mit einem Blick, in Sekunden treffen sich Welten, Verständnis, Ideen, Träume. Mich zu fahren weigert er sich und zeigt wegen des günstigeren Preises auf ein Auto-Taxi.
Ich bedanke mich, er verschwindet, aber nicht, ohne sich prüfend umzudrehen, und lässt mich allein. Allein mit dem Gefühl, dass gerade mehr passiert ist, als nur das Weisen der richtigen Richtung. Mein lieber Unbekannter, in deinem Blick habe ich Kuba gesehen.
Am nächsten Morgen, Plaza de armas, leichter Wind über einem Büchermarkt, auf den Titeln und an den Ständen die Gesichter Kubas, der Geschichte. Neben mir greift ein Mann zur Gitarre, zupft leicht die Saiten, wenige Akkorde, zärtliches Spiel. Besame, besame mucho. Küss mich so, als sei es die letzte Nacht, die wir haben. Die Stimme, ein Hauch von damals, ein Hauch von Revolution. Schwermütige Melodie und ich darin verloren.
Und am Abend: Buena Vista Social Club. Der Echte. In Havanna, live. Wie viele Leute können das schon von sich sagen? Alte Herren mit schicken Hüten, perfekt geschneiderten Anzügen und geputzten Schuhen. Die Musik ist fantastisch, ebenso die Eleganz und das Flair, die sie mit sich bringt. Trotzdem hängt schwer im Nachthimmel die Frage, was passiert ist, dass Weltstars in einem Kulturzentrum im nicht unbedingt schönsten Teil von Havanna für 30 Euro inklusive drei Drinks auftreten müssen.
Ferner, wer, wie ich auf Grund eines etwas verspätetem Geburtsdatums, nicht mehr die Möglichkeit hatte, den Sozialismus, etwa in der DDR, persönlich zu erleben, dem sei das Museo de la Revolucion in Havanna ans Herz gelegt. Neben Fetzen von T-Shirts, die wohl mal die Katze der Schwester von Che Guevaras Putzfrau getragen hat, wird dem Besucher auch die etwas, nennen wir es, tendenziöse Grundstimmung der Ausstellung auffallen. Ein Beispiel: “Mit herzlicher Ergriffenheit und Begeisterung stellte sich das Volk Kubas geschlossen hinter die Männer der Revolution.” Eine ganze Abteilung ist der Verbesserung des Sozial- und Gesundheitssystems gewidmet, mit stark suggestiven Bildern von gymnastenden Schwangeren und lächelnden Rentnern, die endlich ihre Pension erhalten. Mehr als einmal drängt sich mir die Frage auf: “Glaubt ihr das wirklich?”
Selbst als Besucher fühle ich den Druck, die eigene kritische Meinung als riskant zu verstehen und mir mehrfach zu überlegen, wem gegenüber ich was laut denke. Man könnte lachen, wäre das Ganze nicht so entsetzlich.
Havanna lässt sich wohl am besten mit diesem Bild beschreiben. Ein altes Glamourkino am Paseo del Prado, innen verfallen, zerschlagene Fenster auf halber Höhe, Löcher im Putz, Dunkel im Innenraum. Dort, wo geschmückte Eingangstüren und ein zerrissenes Plakat mit der Aufschrift “Se hizo la luz” Verlust und Wehmut beschreiben. Die übernatürliche Eleganz, die schon lange keine mehr ist.
Havanna ist die verbrauchte Schönheit, im Vergangenen gut genug für Sex, Alkohol, heiße Nächte und Exzesse. Nicht aber die frühere Geliebte, die man nach dem Verblassen der Liebe in den Arm nimmt, ihr zuhört und ihr die Andacht gibt, die sie verdient. War das der Preis für Liebe, kostete sie für Havanna zu viel.
Vinales:
Auf der Fahrt nach Vinales fällt zuerst einmal auf, wer sich alles über die Autobahn bewegt. Pferde, Hühner, ein kleines Schwein, Händler mit Brötchen zum Mitnehmen und ja, Autos auch. Tankstellen hab ich übrigens auf insgesamt 250 km nicht gesehen. Zum Tanken fährt man einen unmarkierten Schotterweg hinauf und lässt sich mit einem Kanister aus dem Schuppen bedienen. Dabei mache ich ein paar kleine Persönlichkeiten sehr glücklich. Dazu braucht es allein eine Bonbontüte. Große Augen, kleine Finger, die so viel nehmen, wie in eine Hand reinpasst. Wäre sie doch nur größer. Ein kaum hörbares Gracias und aufgeregtes Auf- und Abgehopse. Das ganze Taxi amüsiert sich und ich freue mich, dass glücklich machen doch manchmal so einfach sein kann.
Neben den Straßen große Werbetafeln, Che, Fidel und Mandela. Vorwärts, Genossen, für eine bessere Zukunft. Viva la revolucion, viva!
Mir gefällt die Fahrt, auch wenn ich bei zwei offenen und einem fehlenden Fenster auf der Autobahn eine Bindehautentzündung fürchte, aber der junge, lächerlich attraktive Fahrer scheint meine Spotify-Latin-Playlist zu kennen. Und so schaue ich mir abwechselnd die vorbeijagenden Felder und sein Gesicht im Rückspiegel an.
In Vinales angekommen, begegnet mir der grüne Schoß Kubas. Sattes Grün, Hügel, im Hintergrund Berge, Palmen, Tabak, dazwischen funkelnde Karossen unter blauem Himmel. Die Sonne scheint, es ist warm. Pferde und Reiter wie Gauchos zwischen den Feldern. Die Hüte tief ins Gesicht gezogen, Staub in der Luft hinter ihnen. Ein alter Herr spricht mich vom Straßenrand aus an, steckt mir eine orange Blüte ins Haar und erzählt von seiner Zeit in Ost-Berlin. Für den Abend lädt er mich zum Salsa im Park ein.
Am Abend sitze ich auf dem Dach meiner Casa, links von mir geht die Sonne hinter den Hügeln unter. Die Welt im natürlichen Weichfilter. Ein Keil aus Wolkenfetzen in weiß und lila bis dunkelblau verbindet das eine Ende vom Tal mit dem anderen. Im zarten Orange in der Ferne Palmen auf dem Hügelkamm. Eine schmale Sichel des Mondes zeigt sich, konkav nach oben geöffnet. Wie ein Mund, der mich breit angrinst.
Am nächsten Morgen: Braune Augen mit Endloswimpern schauen mich skeptisch an, während ich vorsichtig die weiche Nase streichle. Nüstern schnauben warm in meine hohle Hand. Caramelos starker Rücken soll mich fünf Stunden lang durch den Nationalpark von Vinales tragen. Über staubige Straßen, durch Tabakfelder, an Kleinstfarmern vorbei, während seine Hufe in Wasserläufen funkelnde Tropfen aufwerfen und mir die Sonne auf das Gesicht brennt. Mir gefällt der Westernstil, der bequeme Sattel und der Braune unter mir lässt sich auch mit einer Hand problemlos führen. Ein Erlebnis, dass ich jedem nur empfehlen kann, der mit Pferden ein bisschen was anfangen kann und selbst erhören will, warum die Region Valle del Silencio heißt. Und für weniger geübte Reiter: Keine Bange, der Schmerz vergeht. Die Eindrücke bleiben.
Vinales ist die idyllische Kleinstadt, in der jeder jeden kennt. Wo Mountainbikes vor den Häusern auf der Wiese liegen und Kinder sich in der Dämmerung gegenseitig zum Spielen auf die Straße rufen. Und es zeigt, fragt man mich nach meiner Privatmeinung, was schon immer die Achillesferse vom Sozialismus war. Im meiner Casa sehe ich Tablets und iPhones auf der Straße. So viel zum Stadtkern. Und außerhalb Menschen in Holzhütten, die vom Tourismus nicht verhältnismäßig reich werden. Deswegen meine Bitte: Schaut euch beides an. Denn in Vinales blendet nicht nur die Sonne.
Cienfuegos:
Cienfuegos beginnt mit Schlange stehen, im Supermarkt. Für Wasser, die traurigen Produkte in den Regalen sind handverlesen. Ein Paket Tomatensauce, eine Box Tee, eine Packung Waschmittel. Wer zu spät kommt, hat Pech.
Die Stadt gefällt sich selbst in mediterranem Flair, ein Steg ragt in die Bucht, eine Promenade am Wasser, Schaulaufen für Ausländer und allmählich fängt die männliche Aufmerksamkeit an, mich zu nerven. In den zwei Straßen des Stadtzentrums gestrichene Fassaden, Angeberbauten, ansonsten hat die Stadt wenig zu bieten. Es sei denn, man versteht eine Ansammlung von Kubanern als Sehenswürdigkeit, weil sich alles auf dem Hauptplatz im Zentrum tummelt, weil es dort WLAN gibt.
Vorsicht übrigens mit einem „Tagesausflug“ nach El Nicho. Ein wunderschönes Naturerlebnis, ganz ohne Zweifel, aber unmöglich zu erreichen, wenn man über kein eigenes Fahrzeug verfügt. Und das machen sich die Taxifahrer zunutze. Es beginnt mit einem Preis von 35 CUC, allein für die Fahrt, so wurde es mir in der Casa gesagt. Und es endete mit 45 CUC beim Fahrer. Aber was soll man auch machen, es ist ja nicht so, als könnte man von dort aus den Bergen zurücklaufen. Dass man vor Ort auch nochmals 10 CUC Eintritt bezahlen muss, wurde zufällig auch vergessen zu erwähnen. Trotzdem ist die Natur unbestreitbar wunderschön. Ein tiefes Tal, grüne Berge, Wasserfälle, klare Teiche. Nur das Becken, in dem man schwimmen kann, ist trüb von Sonnencreme.
Auf dem Weg zurück (länger als zwei Stunden dauert der Rundgang übrigens nicht inkl. Restaurant) fragt mich der Fahrer nach meinem Beruf und ich antworte vage: Escritora. Autorin. Daraufhin erzählt er begeistert von seiner Lieblingskrimireihe, bei der man jeden Monat per Post ein neues Kapitel zugeschickt bekommt. Mit der Mafia und der Polizei, ganz aufregende Sache. Und nie weiß man, wer der Gute und der Böse ist. Er strahlt vor Glück und spuckt aus dem Fenster. Und wieder wird mir schmerzlich deutlich gemacht, wie privilegiert mein Leben mit seinen unzählbaren Selbstverständlichkeiten ist.
Wieder in Cienfuegos laufe ich über die Promenade der Calle 37, hinunter bis zum Punta Gorda und entdecke einen wunderschönen Park. Es ist Sonntag, die Sonne scheint warm, Menschen sitzen auf den Bänken und trinken Rum, während alte Männer im Schatten Domino spielen und Kinder am Strand Tretboot fahren. Darüber die allgegenwärtige Kuppel aus Musik. Malu und David Bisbal singen „Te voy a olvidar“, ein Livemitschnitt vom Konzert in Madrid. Und Luis Fonsi reist mit seinem Herz in einem Koffer.
In der Nähe sehe ich einen Mann stehen. Hüftlange schwarze Dreads, Kopfhörer auf den Ohren, beige Chucks, Ray-Ban-Top-Gun-Brille. Ich drehe mich weg, in der Hoffnung, er spricht mich nicht an. Natürlich tut er es doch. Ein wenig Smalltalk und schon sitzt er neben mir. Von seinen Reisen in Europa erzählt er mir, von seiner abgebrochenen Ausbildung auf Kuba, seiner französischen Ex-Frau und der gemeinsamen Tochter. Liebe als Ausreisevisum. Nach etwa einer Stunde kenne ich sein ganzes Leben. Er fragt wenig, erzählt lieber. Dazu süßlich-klebriger, ziemlich starker Mojito. Am Steg in der Sonne beschreibt er mir das Leben in Kuba. Drogas no hay, criminalidad no hay, libertad no hay. Dafür aber staatlich kontrollierte Medien, Zensur, Ärzte, die das Land verlassen und Menschen, die spurlos verschwinden, weil sie den Mund aufgemacht haben. Der Staat hat seine Augen und Ohren überall. Ich sehe mich um. Wer hat meine kritischen Fragen gehört? Die Familie mit dem süßen kleinen Mädchen? Der schweigsame Angler neben mir? Die Polizisten an der Ecke? Verhalte dich ruhig hier. Nicht fragen, nicht denken.
Meine zweite persönliche Grenze dieser Reise: Die gefühlte Beschneidung von individueller Freiheit macht mich aggressiv, gerade weil ich nichts gegen die Übermacht tun kann. Denn gegen einen ganzen Staat, einen ganzen Apparat eines Systems, wo fängt man da an? Man könnte wohl auch sagen: Hier resultiert Aggression aus Hilflosigkeit. Und in diesem Moment ist es wohl auch, dass mir etwas klar wird. Kuba ändert sich nicht. So sehr es Reisemagazine und Fluggesellschaften auch für sich nutzen, im Moment zu behaupten, wenn man das wirkliche Kuba erleben wolle, müsse man das jetzt machen, bevor alle anderen es tun. Denn ein Kriterium der Handelsbeziehungen sind demokratische Wahlen – und diese sehe ich auch in weiter Ferne nicht. Castro wird das Land wohl weiter in der Faust halten, bis der Letzte seiner Art tot umgefallen ist.
Trinidad:
Der Taxifahrer heizt die Landstraße entlang, vorbei am Meer und an verlassenen Buchten, Pferdewagen, Rindern. Bis hin zum kitschig-schönen Trinidad, mein persönliches Sternchen dieser Reise. Ja, stimmt, die Unesco hat hier ihre Finger im Spiel, trotzdem hat sich für mich die Frage, was die schönste Stadt der Insel ist, gerade beantwortet. Bunte Farben, Herrenhäuser, Innenhöfe, Kopfsteinpflaster, auf dem man sich die Ohren bricht, Sonnenschein. Wer Kolonialromantik mit Kirchen und starken Drinks will, die schwere Beine machen, dem gilt mein Rat: Trinidad, Trinidad und für den Fall, dass ich es noch nicht sagte: Trinidad.
Die Menschen sind hilfsbereit und sofort willens, mit Leib und Seele zu retten, als ich mich im Dunklen mal wieder verlaufen habe. Die Männer sind weniger aufdringlich und die Zeit scheint vor einer langen Weile einfach gestoppt zu haben. Trinidad ist die Verschnaufpause. Die Karibikschönheit, die es ernst meinst. Hier daher auch mein längster Aufenthalt der Reise.
Für einen Halbtags- oder für Sonnenanbeter Ganztagsausflug bietet sich Playa Ancon an. Zu erreichen mit eigener Muskelkraft per Fahrrad oder eben per Taxi. Schöner sauberer Sand, leuchtendes Wasser in allen Grün- und Blautönen und angenehm wenig Menschen. Wem das allerdings zu wenig Bespaßung ist, der wird sich schnell langweilen, denn außer einem Hotel und ein paar Drink- und Snackverkäufern ist dort nicht viel zu holen.
Umso mehr empfehlenswert ist aber ein nächtlicher Spaziergang durch Trinidad. Sich von der Musik tragen lassen, auch ohne vorherigen Drink auf dem Kopfsteinpflaster schwanken und die Wärme spüren, die vom Tag geblieben ist. Ein paar Sterne sind zu sehen, daneben der Mond und darunter die Casa de la Musica in Trinidad. Beschämend talentierte Tänzer, katastrophale Boxen und anstatt eines DJs Musikvideos auf Leinwand. In Bild und Text viel Liebe, vornehmlich körperlich, Begehren und das Versprechen, ihr den Mond vom Himmel zu holen. Und in der Realität, im gesamten Club so viel angestautes Testosteron, dass man fast damit rechnet, dass einem der Herren dort Fell wachsen wird. Breitbeiniges sich Hinflätzen, dreistes Auschecken der anwesenden Frauen, derart sexualisiertes Tanzen, dass ich wirklich lachen muss. Würden sich diese Männer durch meine Augen sehen…Wie eine lateinamerikanische Telenovela und völlig ernst gemeint.
Kuba ist Testosteron. Fidel und Che als Vorbilder der breitbeinig gehenden, trinkenden, in der Sonne reitenden Machokultur, die sich sofort Geschlecht über Gehirn auf den ersten Blick verlieben und Frauen auf der Straße abgenutzte Komplimente entgegenschleudern. Im Kopf und mit der eigenen Fantasie gefangen in der Reggaeton-Musikvideo-Welt.
Santa Clara:
Und ein richtig mieser Tag muss natürlich auch dabei sein. Die Lektion daraus war so groß, dass sie für mich und sämtliche Leser reichen wird.
Nun denn, in einer Stadt namens Santa Clara, halbweit von Cienfuegos und Trinidad entfernt, liegt El Comandante Ernesto „Che“ Guevara in seiner letzten Ruhestätte. Mein Reiseführer hatte dafür sogar ein Sternchen übrig. Ist ja schließlich Che. Also sollte der Ort Teil meiner Reise werden.
Es beginnt aber schon damit, dass Santa Clara außer via Warteliste vom Viazul kaum zu erreichen ist. Man könnte sich noch ein Taxi teilen, wenn man das Glück hat, Menschen mit dem gleichen Ziel zu finden. Nun, ich hatte es aber nicht.
Aber das Angebot auf der Straße von 20 CUC von einem netten Mann klang vielversprechend. Meine Sorge bezüglich der Rückkehr am selben Tag nach Trinidad tat er lächelnd damit ab, dass er dort vor Ort einen Amigo mit einem Taxi collectivo hätte, der mich sicher zurück fahren würde. Ja, von wegen!
Denn inmitten der Fahrt durch schönste Landschaft und Örtlichkeiten, wo freiwillig kein Tourist aussteigt, offenbarte mir der Fahrer (natürlich ein anderer Mann als mein Gesprächspartner zuvor), dass es vielleicht in Santa Clara auch gar keine Taxis geben würde. Daher wäre es selbstverständlich (!) die klügste Variante, bei ihm zu bleiben, sodass er mich in Santa Clara zu den Sehenswürdigkeiten und dann zurück nach Trinidad würde fahren können, zu einem Schnäppchenpreis von 90 CUC. Ich müsse natürlich nicht, aber die Alternative sei möglicherweise, bei Dunkelheit in Santa Clara gestrandet zu sein. Man halte sich bitte vor Augen: Eine Übernachtung in einer Casa kostet 20-30 CUC. Und dann überlegt mal, wie wütend ich war. Vornehmlich auf mich selbst!
Und dann lernt bitte aus meiner Notlage und meinem Fehler: Wer in Kuba zu deutlich zeigt, dass es ihm oder ihr an Optionen fehlt, zahlt immer drauf. Während der Fahrt habe ich dem Fahrer übrigens von einem platten Reifen bis einem Achsenbruch so ziemlich alles an den Hals gewünscht.
Etwas weniger ärgerlich wäre die Sache gewesen, hätte sich das ganze Theater für Santa Clara zumindest gelohnt, aber auch dem war nicht so. Denn außer einem Hauptplatz mit ein paar hübschen Gebäuden gibt es nur noch einen überlebensgroßen Che aus Bronze. Aber mal ehrlich, wer einen längeren Zeitraum als zwei Tage auf Kuba verbracht hat, kommt irgendwann nicht mehr darum herum, mitzubekommen, wie der Mann aussah. Ach ja, und dann gibt es noch einen Zug, den derselbige mal überfallen haben will. Dieser steht im Freien, trotzdem wird eine Ansichtsgebühr erhoben, mit Fotozuschlag, um Einschusslöcher zu bewundern, die für meine Augen doch eher verdächtig nach Rost aussahen.
Daher mein Rat, sofern ihr nicht die größten Che-Guevara-Groupies der Welt seid, lasst es sein! Spart euch die Zeit und investiert eure Stunden und eure Nerven besser. Außerdem liefert die Stadt, weil die Dichte von politischer Propaganda und Motivationsparolen ja nicht ausreichend wäre, Gehirnwäsche vom Feinsten. Vielleicht muss man auch glühender Verfechter der Ideologie oder ein größerer Romantiker sein als ich, damit es einem nicht zu einem gewissen Zeitpunkt derbe zum Halse raushängt. Nicht auszudenken, wäre das Alltag anstatt nur ein kurzweiliger Einblick.
Fazit meiner 2-wöchigen Kuba Reise:
Wer glaubt, Kuba für ein billiges, unkompliziertes Reiseland zu halten, der irrt. Ohne Spanisch geht es hier beinahe nicht. Mehrere Male habe ich zwischen zwei fremdsprachigen Parteien vermittelt, die sich nicht verstanden. Oftmals scheitert das Englisch der Kubaner schon am Smalltalk. Deswegen, zumindest Basic-Spanisch mit Kenntnissen der Zahlen, Grundlebensmitteln und Richtungen sowie Uhrzeiten sollte mitgebracht werden.
Zudem, das Zauberwort heißt hier Kommission, die für die Empfehlung eurer Casa durch andere auf euren Nachtpreis aufgeschlagen wird, ebenso wie empfindliche Strafen für Taxis, die Nicht-Kubaner trotz Verbot befördern, welche zu eurem Beförderungspreis hinzukommen. Und natürlich hebt der Mangel an Alternativen den Preis. Fährt der Bus nicht, nimmt man wohl oder übel das Taxi, denn bis nach Havanna laufen stellt wohl eine Herausforderung dar. Der Trick daher: immer Kosten und Transportmittel teilen. Zur Not mit Fremden. Und niemals, NIEMALS zugeben, dass man keine Ahnung oder Alternative hat.
Außerdem, so unangenehm es ist, Bargeld muss leider sein. Denn europäische Geldkarten funktionieren an kubanischen Geldautomaten nicht, Visa geht maximal in großen Hotels. Mastercard ist dagegen völlig nutzlos. Und ich rate euch dringlich zu einer etwas größeren Reisekasse als nötig, denn wer einmal die Schlangen der Menschen vor den Banken und das resolute Rausschmeißen der Sicherheitsbeamten beim Annähern der Schließungszeiten beobachtet hat, wünscht sich sehr, dort niemals hinein zu müssen.
Ebenfalls kostbar sind die Nerven, die ihr lassen werdet, liebe weibliche Reisende. Freut man sich am Anfang noch über jedes Kompliment und jedes Angesprochen werden auf der Straße, so kommt irgendwann ganz gewiss der Punkt, wo es selbst dem stärksten oder schwächsten Ego zu viel wird. Ja, auch Komplimente, Blicke und Kussgeräusche können lästig werden. Bei mir fing es an mit einem netten Lächeln und einem höflichen „Nein, danke“ und endete mit der spanischen Version von „geh mir doch bitte nicht auf die E_er“. Denn Sextourismus boomt auf Kuba, ebenso die Geschäftsstrategien mit der Liebe per großen Emotionen von örtlichen Männern (und Frauen), wenn es um Europäer geht. Denn so gerne ich hier an die große Liebe glauben möchte, am Ende täte ich wohl genau dasselbe, um von dieser Insel wegzukommen. Meine dritte und letzte persönliche Grenzerfahrung der Reise. Manchmal ist Liebe etwas, was man sich einfach nicht leisten kann.
Gut investiert ist euer Geld allerdings jeder Zeit in Drinks. Denn da machen die Kubaner ernst. Mehr als einmal habe ich mich völlig erschrocken verschluckt und dann lieber etwas gewartet bis die Hitze mir das Getränk mit geschmolzenen Eiswürfeln verdünnt hat.
So wunderschön Kuba ist und ich jedem einen Besuch nur empfehlen kann, so doch ein gut gemeinter Rat. Lasst die Naivität zu Hause und nehmt statt der rosaroten Brille lieber die echte Sonnenbrille mit. Denn auf Kuba geht es um vieles, aber vornehmlich um Geld, Verdienst, Gewinn, Existenzerhalt. Behaltet im Hinterkopf, dass es bei Nettigkeiten nicht immer nur vordergründig darum gehen muss, euch glücklich zu machen.
Mir gefällt Kuba wirklich, vorbehaltlos! Die farblosen Fassaden neben strahlenden Farben, das Schöntrinken des Lebens auf Musik beschallten Plätzen mit Mojito. Und ich weiß, dass ich romantisiere. Sogenanntes heißes Wasser, was einfach nur ein Euphemismus für weniger eiskaltes Wasser ist, ist okay, wenn man weiß, zu Hause in Europa wartet die warme Dusche. Gemütliche Gesprächsrunden an Straßenecken wirken atmosphärisch mit der Musik vom Balkon darüber, wenn man sich nicht fragen will, was die Ursache für all die Freizeit ist.
Kuba ist tolle Strände, noch tollere Autos, Palmensommerwetter und Tanz. Stimmt. Ohne Zweifel. Aber Kuba ist auch, die Augen aufmachen und seinen Kopf benutzen. Für lange Schlangen an Banken, für fehlende Krankenhäuser und die Tatsache, dass ich in zwei Wochen gerade mal drei Krankenwagen gesehen habe. Für alte Damen, die Menschen wie mir ihr eigenes Bett anbieten müssen, damit man bleibt und bezahlt. Und für die psychologische Beruhigungskraft eines Rückflugtickets. Denn noch nie habe ich auf einer Reise so oft kontrolliert, ob ich alle nötigen Dokumente noch habe, und noch nie habe ich so oft geträumt, dass am Flughafen etwas schief geht. Selbst noch Tage nach Beendigung der Reise.
Kuba kann ein All-Inclusive-Urlaub sein, der nichts als gebräunte Haut hinterlässt. Oder eine Reise in eine völlig andere, harte Welt, wonach man die Dinge hoffentlich mit etwas genügsameren Augen sieht. Denn Freiheit ist Luxus und in eine Welt voller Wahlmöglichkeiten, Sicherheit und arroganter Europa-Verwöhnheit hineingeboren worden zu sein, ein großes Glück. Denn Kuba ist anders und nicht zu vergleichen. Und seien es nur die aufgerissenen Straßen und Verdunklungen in der Nacht in Havanna, die an Krieg erinnern. Oder verfallene Leben in baufälligen Hinterhöfen, die man nur beim zweiten Hinschauen sieht, weil die eigenen Harmoniesucht es beim ersten Blick nicht sehen will. Oder der Sozialismus, der Mangel, die Härte, die unbestreitbar sind, egal, wie sehr man sich auch dagegen zu wehren wünscht. Tragende Worte der Revolution waren: “Ya estamos en combate.” Und Kuba kämpft immer noch. In jedem Moment kann man dabei zusehen. Im Leben der anderen, von dem ich dankbar bin, dass es nicht mein eigens sein muss.
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