Von Dina Felix
Wir stehen am Malecón, der Uferstrasse von Havanna, sehen der rosa Sonne beim Versinken im Meer zu und blicken uns mit dem leicht überforderten Grinsen an: ist das ein Film oder sind wir tatsächlich in der Karibik? Hinter uns tuckern die Oldtimer in den schönsten Mintfarben vorbei und ein doppelter Regenbogen spannt sich zwischen einer ausgehöhlten Jugendstilvilla und einer aufgerissenen Strasse.
Fischermänner & Badejungen
Der erste Tag in Kuba beschert uns das Erlebniskontingent einer Woche. Wir lernen, mit einem permanenten feuchten Film auf der Haut, uns möglichst langsam zu bewegen und meine Linsen halten dem Stadtsmog nur während einem halben Tag lang Stand. Wenn sich, auf der Suche nach dem richtigen Weg, unsere Körper bei Richtungsunsicherheiten unverhofft berühren, bleiben sie aneinander kleben und mir rutscht ein entnervtes: „Nicht anfassen, es ist heiss!“, heraus. Das Klima kenne ich von den Saunabesuchen mit Lisa, wobei das Brummen der Klimaanlage und das Surren des Ventilators natürlich nicht mit der Erfrischung einer kalten Winternacht auf der Saunaterrasse zu vergleichen ist.
Wie kleine Kinder entdecken wir die neue Welt und bemühen uns, die Abläufe dieser Stadt, dieses Landes zu verstehen. Wir organisieren uns ein kubanisches Telefon und Lorenz kombiniert ganz schlau: in dem Park, in dem abends alle Kubaner mit ihren Geräten sitzen – da gibt es WLAN! Aber wie kommt man rein in das begehrte Netz? Auf der Dachterrasse vom Hotel Ambos Mundos, wo Hemingway lange residierte, trinken wir eine Piña Colada und lassen uns später vom Portier die Internetkarte erklären. Vor dem offiziellen Büro für Internetkarten reicht die Warteschlange bis um die Hausecke. Um nach dem „ultimo“ zu fragen, ist es wirklich zu heiss und so schlendern wir dem Paseo del Prado entlang und essen in der Eingangshalle vom Hotel Sevilla, wo schon Al Capone sass, eine Kleinigkeit. Nach dem Konzert erfahren wir, dass irgendwo um den Parque Central herum auch Internetkarten verkauft werden. Der Portier vom Hotel Inglaterra schickt uns dann zu der Frau im blauen Shirt – und jetzt haben wir eine Internetkarte mit einstündiger Anwendungsmöglichkeit!
Wir sind stolz und schauen mal wie weit uns das Hochgefühl tragen mag.
Die charmanten Gegensätze der Altstadt Havannas
Anders aber gut
Die Hufe wirbelt den Staub der roten Erde auf, zarter Nebel hängt zwischen den Kalksteinfelsen, genannt Mogotes, und Lorenz und ich lassen uns auf dem Pferderücken vorbei an den Barrigona-Palmen, den schwangeren Palmen, schaukeln.
So habe ich mir das Leben in der Sierra de los Órganos vorgestellt. Nach dem hektischen Stadtleben freuten wir uns sehr auf das ruhige Landleben in Viñales und waren leider auf den Touristenschock nicht vorbereitet. „Geht jetzt noch – später ist alles anders“ , hat mein lieber Bruder gesagt. Samuel, dein Kuba gibt es nicht mehr. Ich fürchte wir sind ein wenig zu spät.
Mogotes in Viñales
Die Anfahrt im Taxi von „el flaco“ mit zwei österreichischen Touristen war recht angenehm – zu realisieren, dass unsere gebuchte Casa gar nicht existiert – dann weniger. Am Telefon erfahre ich, dass man das reservierte Zimmer renovieren müsse und dass die Oma im Spital sei. Ich staune was sich so von einem Tag auf den nächsten alles ändern kann: ein Haus verschwindet, ein Zimmer zerfällt und eine Oma wird krank. El Flaco greift auf seine Beziehungen vergangener Schultage zurück und findet in seinem Heimatdörfchen ein leeres Bett für uns. Die zauberhafte Landschaft steht im krassen Gegensatz zu dem Touristengewimmel. Während wir beim Frühstück überlegen wie es weitergehen soll, treffen wir ein Paar aus Österreich. Die zwei fahren mit dem Mietauto weiter und wir reisen kurzentschlossen mit. Also wirklich weit kommen wir nicht. An der Tankstelle von Viñales werden wir freundlich darauf hingewiesen, dass das Auto einen Platten hat. Und dann beginnt der grosse Zirkus: Dina wird von Gottfried kurzerhand zur Übersetzerin ernannt, in der Dorfwerkstatt wird erkannt, dass der Ersatzreifen nicht zu gebrauchen ist und wenn wir gewusst hätten, wie schwer die zuständige Mietauto-Agentur zu finden ist, hätten wir wohl den Abstecher zu den, wegen Touristenüberfüllung nicht zugänglichen, Höhlen nicht gemacht. In Pinar del Río fahren wir dann tausendmal im Kreis, bis Gottfried endlich begreift bei welcher Agentur er sein Auto gemietet hat. Wir werden von Person zu Person weitergereicht bis sich Daniel zu uns ins Auto setzt und die Sache in die Hand nimmt. Er führt uns zur militärgeschützten Lagerhalle. Das Auswechseln des Reserverades erscheint dann wie ein geheimer Deal in einem Mafia-Film.
Mit viel Zeit und Geduld kommt man vorwärts
Unsere Abenteuerlust ist bedient, wir sehnen uns nach Ruhe und erhoffen uns diese von Cienfuegos. Also beschliessen wir, eine Nacht in Pinar del Río zu bleiben und unsere Weiterreise zu organisieren. Für die Besichtigung der Tabakplantage bleibt keine Zeit; Durst und Hunger treibt uns in den Supermarkt. Ich stehe zwischen den Regalen, die bis an die Decke reichen und starre auf den immensen Leerraum. Das Geschäft ist da, die Regale auch, aber die Produkte fehlen irgendwie. Also Alkohol gibt es immer zu kaufen – bei Wasser wird es schwieriger. Kurz vor dem Kollaps finden wir einen Ananas-Saft und etwas Salziges.
Voller guter Hoffnung wandern wir früh am nächsten Morgen durch die dunklen Strassen von Pinar del Río, nur um wenig später zu erfahren, dass sich die Frühaufsteherdisziplin nicht gelohnt hat und alle Plätze im Viazul Bus schon ausgebucht sind.
So sitzen wir nun da: ohne Kaffe im Bauch, den schweren Rucksack am Rücken mit dem grossen Wunsch, nach Cienfuegos zu kommen.
Wir werden es schaffen. Aber es wird teuer.
Respekt und Freundschaft
„Ich werde es mir überlegen. Zuerst brauche ich einen Kaffee“, erkläre ich mit einem netten Lächeln. „Du hast keine Zeit das Sammeltaxi fährt jetzt ab – gib mir sofort eine Antwort! Wer ist das denn – dein Freund? Den verstehe ich nicht – der spricht unsere Sprache nicht. Sag jetzt endlich etwas – so billig kommst du hier nicht mehr weg!“ , und bei jedem Wort patscht der aggressive Taxivermittler seine Pranke an meinen Oberarm. So lange bis ich weine.
Dann wechselt Lorenz den Standort – also das Jagdrevier des Taxiunternehmens und setzt mich in einen Kleinbus. Wir schliessen die Türen und draussen tobt der Krieg der Vermittler.
Es findet sich immer jemand, der in die richtige Richtung fährt. Irgend jemand hat an deinem Reiseziel sicherlich noch etwas zu erledigen. Die Kubaner stellen sich einfach mit einigen Geldscheinen an den Strassenrand und winken, in der Hoffnung auf eine Mitfahrgelegenheit, jedem Auto zu.
nsere fünfstündige Taxireise von Pinar del Río nach Cienfuegos hat seinen Preis. Geld ausgeben kann man hier in Kuba gut. Das Geschäft mit den Touristen läuft und an beliebten Orten muss man sogar für das Fotografieren eines besonders schönen Hauses bezahlen. Der Eintritt in den Naturpark kostet 10 CUC – also etwa zehn Schweizer Franken. Zu spät bemerkten wir, dass wir auch in der Währung der Einheimischen bezahlen könnten. Das wären dann 20 Pesos gewesen – das entspricht einem Wert von ungefähr einem Franken. Auf dieser Insel sind nicht alle gleich: es gibt Kubaner und Touristen.
Auch wenn es an allen Ecken und Enden fehlt: eine Kubanerin bettelt nie nach Geld. Ziemlich ungeniert und freundlich wird ganz konkret nach einem Wunschgegenstand gefragt – ein Kugelschreiber, ein deutsches Wörterbuch, ein Shirt, Notenpapier, Schminke oder Parfüm. Anfangs schämten wir uns, Kugelschreiber zu verschenken. Diese werden dann auf der Hand sofort auf ihre Tauglichkeit überprüft. Das strahlende Lachen, das ein funktionierender Schreiber hervor zaubern kann, fördert unsere Lust am Verschenken ungemein.
Cienfuegos schenkt uns, was wir uns gewünscht haben: Ruhe, saubere Ordnung und ein respektvoller Umgang. Wir können also einmal sagen, dass wir kein Taxi benötigen und unser Nichtbedürfnis wird akzeptiert – mehr noch: man wünscht uns einen guten Tag. Hier lernen wir auch, die Kontaktaufnahme auf der Strasse nicht als Bedrohung wahrzunehmen. Die Kubaner plaudern einfach gerne. Sie zeigen sich interessiert und möchten auch gerne einmal das gelernte Schulwissen über die Schweiz loswerden. Oft treffen wir unsere Gesprächspartner an einem anderen Tag wieder und die Plauderei beginnt von Neuem. Wir staunen über das gesammelte Weltwissen im Zusammenhang mit der eingeschränkten Reisefähigkeit. Auch habe ich erkannt, dass ich nicht sofort ausgeraubt werde, wenn ich zugebe woher ich komme. Dina de Suiza ist also mein neuer Name. Unter diesem werden wir auch in der Casa registriert und mit dieser Aufschrift auf dem Pappschild erkenne ich meinen Taxifahrer.
Pferdetaxi in Cienfuegos
Cienfuegos schenkt uns auch erstmals auf unserer Reise, trotz der heissen „Tropi Sur“ Show mit knallbunten Glitzerstoffen, ein wenig Abkühlung. Der Donner rollt laut durch die Luft, die Holzlamellen, welche hier die Fensterscheibe ersetzen, werden nach unten geklappt und der Strom wird wegen Blitzeinschlagsgefahr abgestellt. Wir atmen durch und geniessen die lauwarme Ruhe.
Reis und neue Ideen
Die Vergangenheit von Cienfuegos ist zuckersüss. Die Perle des Südens blieb lange verschont von Piratenüberfällen. Plantagenbesitzer und Sklavenhändler wurden immer reicher. Immer mehr Zuckerrohrplanzen wurden angebaut und bald waren die Sklaven den weissen Herren zahlenmässig überlegen. Der Gouverneur förderte gezielt die Einwanderung französischer Siedler, um die Angst vor Aufständen zu verringern. Wir geniessen also das französische Flair und lassen uns mit dem Pferde-Taxi über den Malecón zur Punta Gorda – zum äussersten Zipfel der Landzunge, die weit in die Bucht reicht – fahren. Wir essen über den Dächern der Stadt und lassen uns von den dichten Rhythmen des Rumba-Konzertes mitreissen. An der schönen Playa de Rancho Luna finden wir die Weitsicht, unsere Rollenaufteilung im Reiseteam neu zu besprechen. Manchmal ist beides einfach zu viel: reisen und eine Beziehung führen. Dann schmelzen all die guten Vorsätze in der Hitze dahin.
Wir müssen einsehen, dass wir nicht so spontan reisen können wie wir uns das vorgestellt hatten; zu oft war schon alles ausgebucht. Also planen wir unsere Kuba-Tage durch. Lorenz organisiert Bustickets, wechselt Geld und kauft die Reiseverpflegung ein. Ich übernehme die Aufgaben, die Spanischkenntnisse erfordern. Die Reise durch Kuba wird um einiges einfacher, wenn man ein wenig Spanisch spricht und versteht. Ich rufe im gewünschten Casa Particular an und organisiere uns ein Bettchen. Das Wohnen im Zimmer eines Privathauses bietet einen wunderbaren Einblick in das Alltagsleben der Kubaner. Die Häuser und Wohnungen sind in ihrer Einrichtung phantastisch vielfältig und präsentieren sich meistens übermässig pompös mit glitzernd bunten Stoffen, schlechtem Neonlicht und schrecklich kitschigen Bildern an den Wänden. Eigentlich müsste man sich die Städte, Wälder und Strände gar nicht anschauen. Die Augen sind bei der Reise von Casa zu Casa schon total ausgelastet. Das Frühstück jedoch sieht in jeder Casa gleich aus: Kaffee, frisch gemixter Fruchtsaft, getoastetes Weissbrot, das beim Reinbeissen zu Staub zerfällt, Rührei oder Omelette, Käse und Schinken, der uns nicht schmeckt und Früchte. Mango, Banane, Ananas, Melone, Papaya und Guave. Die Mango und die Bananen aus dem Schweizer Coop müsste man noch mit Zucker bestreuen und anschliessend in Honig tauchen, um an den Süssegehalt der kubanischen Früchte heran zu kommen.
Nachtessen
Die Bananen gibt es nicht nur zum Frühstück. Die Gemüsebanane wird in allen Variationen auch zum Abendessen serviert: frittiert, gegrillt, gekocht oder in Öl gebacken. Auch der Salat gehört zu jedem Essen: Tomate, Gurke und Weisskohl. Fisch, Crevetten, Hühnchen, Rind- und Schweinefleisch wird mit Reis, Reis oder Reis gegessen. Und manchmal mit Reis und Bohnen. Ab und zu liegt noch eine würzige Süsskartoffel, die „boniato“, dabei. Da zu jedem Menü auch noch eine Suppe, Nachtisch und sowieso von allem reichlich aufgetischt wird, haben wir uns angewöhnt, ein Essen zu bestellen und dies zu teilen.
In jeder grösseren Stadt findet man im Zentrum einen hübsch hergerichteten, autofreien Boulevard. Da ist immer etwas los; es wird musiziert, getanzt und nach Sonnenuntergang trifft sich hier die halbe Stadt. Meistens wird man beim abendlichen Flanieren von einem Familienmitglied abgefangen und anschliessend in eines der hübschen „paladares“, wie die privaten Restaurants heissen, geführt. Mit viel Charme, Ideenreichtum und dem Streben nach Professionalität bauen sich so Familien ein kleines Unternehmen auf.
Auch zu Hause, in der Casa, lässt es sich gemütlich essen. Allerdings sollte man seinen Essenswunsch möglichst früh anmelden. Der Einkauf gestaltet sich nämlich nicht so einfach wie in der Schweiz. Gewisse Zutaten sind an manchen Tagen auch gar nicht zu bekommen. Vor dem Markt stehen die Leute in der prallen Hitze in der Schlange und warten darauf, dass der Türsteher einige wenige Einkäufer herein lässt. Drinnen gibt es nur eine Kasse und der Platz für eine Warteschlange wäre gar nicht vorhanden. Ein entnervtes Ausrufen: „Ich brauche doch nur eine Butter!“, ist also verständlicherweise vor dem Markt keine Seltenheit. Wesentlich gemütlicher, aber dem Zufallsprinzip untergeordnet, gestaltet sich das Einkaufen bei den Strassenhändlern. Mit Trillerpfeifen ausgerüstet schieben sie ihren selbstgebauten Holzwagen mit den schlechten Rollen durch die Strassen und rufen ihre Ware aus: Brot, Zwiebeln, Eier, Butter und Früchte. Oft ist es also bei einem Hungergefühl einfacher zu fragen, was gerade vorhanden ist. Bei Bestellungen nach den eigenen Gelüsten kann es vorkommen, dass sich der Koch mehrmals entschuldigen muss, da die Zutaten für die Menü-Ideen nicht vorhanden sind.
Was mein Zuckerherz sehr beglückt ist die Tatsache, dass man in jeder grösseren Stadt riesige Eishallen, also Restaurants, in denen man Eis essen kann, findet. Zu jeder Tageszeit treffen sich hier die Kubaner in grosser Zahl zum Schlemmen. Dass dies eine Einrichtung für Einheimische ist, merkt man auch daran, dass hier in Pesos bezahlt wird. Für zwei Kugeln Eis mit einem grossen Kuchenstück bezahle ich 20ig Rappen.
Die zuckersüsse Vergangenheit von Cienfuegos passt ganz gut zu meiner süssen Gegenwart und ich fühle mich gestärkt für die weitere Reise.
Natur und andere Wunder
Wir wandern durch die Sierra del Escambray, atmen die frische, erdige Luft ein und bestaunen „El Nicho“. Der malerisch über Kalksteinterrassen plätschernde Wasserfall ist der grösste von vielen im Nationalpark Topes Collantes. Wir spazieren durch den Wald und testen mehrere natürliche Badebecken aus: tiefe, die Lorenz zu mutigen Kopfsprüngen verführen, seichte für Sitzbäder mit Plauderkomfort und märchenhafte mit Höhlen und Nischen für Fabelwesen. Wir geniessen das kühle Nass – das karibische Meerwasser entspricht ja in etwa der Badewannentemperatur – und lassen uns von der Welt der Flüsse, Wasserfälle, sanften Hügel und Täler, der Pinien, Zedern, Magnolien- Teak- und Mahagonibäume, der Kolibris, Schmetterlinge und dem Duft der Mariposa, der Nationalblume Kubas, verzaubern. Wir geniessen die Stille des Waldes bis die Kubaner kommen. Auch sie nutzen die Ferienzeit für einen Ausflug an den Fluss und bringen ihre Rumflaschen und ihre laute, heiss geliebte 90er Jahre Musik mit in den Naturpark.
Nationalpark Topes Collantes
Wir bleiben noch im Süden Kubas und treten unsere Reise nach Trinidad an. Wir sind stolz auf unsere gute Planung: in einer besonders hübschen Casa wartet ein Kolonialzimmer auf uns, wir haben unsere Bustickets schon vor einigen Tagen reserviert, wir stehen frühzeitig am Busbahnhof bereit – aber – aber wir drängeln beim Einsteigen nicht. Ganz gemütlich gehören wir zu den letzten Einsteigern und müssen dann erstaunt feststellen, dass es gar keine freien Plätze mehr gibt. Sechs Leute müssen sich also irgendwie auf den Busboden setzen. Zu Beginn empfinde ich es noch als abenteuerlich, mich am Busende neben dem heissen Motor auf dem schmutzigen, löcherigen Boden durch die Landschaft schaukeln zu lassen. Schon nach kurzer Zeit finde ich es schon nicht mehr so lustig. Ich frage mich, wieso das gerade mir passiert und gleichzeitig ist mir bewusst, dass viele Kubaner eingepfercht auf der Ladefläche eines Lastwagens reisen. Ich schäme mich für meine Luxus-Attitüde und gleichzeitig kann ich mich schlecht mit der unbequemen Situation abfinden. Wir passieren bescheidene Landarbeitersiedlungen, Dörfer mit Hütten aus Palmenholz oder karge Betonquader, um dann später in Trinidad die prunkvollen Wohnsitze der kolonialen Sklavenhalter zu bewundern. Manch Kubaner kann von meiner Reisefreiheit nur träumen und ich bin eine Mimosa; die Blume wächst hier im Regenwald und bei der kleinsten Berührung faltet sie ihre zarten Blätter ein.
Die Vorfreude auf unser hübsches Zimmer trägt mich durch die Übelkeitswellen und am Ende der Fahrt werde ich von einer netten Dame empfangen. Sie führt uns durch ein Wohnzimmer, in dem ein Motorrad steht, in ein Schlafzimmer, das so gar nicht aussieht wie auf den Fotos im Internet. „Das ist nicht das Casa, welches ich gebucht habe!“, kombiniere ich schlau. Die nette Dame bestätigt meine Vermutung mit der Begründung, dass unser gebuchtes Zimmer für kranke Touristen gebraucht werde. Schluchzend stelle ich mich unter die Dusche und versuche, mein Selbstmitleid abzuwaschen. Ich dusche lange. „Oh Kuba, du mein grosser Lehrmeister!“ Eine fanatische Planerin wie ich, wird in diesem Land noch oft ins Leere spazieren.
Trinidad
In Trinidad spaziere ich nicht alleine. Das Dorf an sich ist eigentlich ein Museum und wimmelt von fotografierenden Touristen. An der Plaza Mayor lassen sich die Paläste der Zuckerbarone bestaunen. Vergitterte Fenster, haushohe Holztüren, auf Säulen gestützte Balkone, rote Ziegeldächer und das blank getretene Kopfsteinpflaster versetzten den Besucher zurück in das goldene Zeitalter des Zuckerbooms. Im Rücken des Dorfes steigen die Berge der Sierra del Escambray auf. In dem dichten Grün versteckten sich damals die entflohenen Sklaven in den Höhlen. Jetzt versteckt sich auf dieser Insel niemand. Das Alltagsleben ist sehr öffentlich; von der Strasse aus blickt man in jedes Wohnzimmer und abends, wenn es ein wenig abkühlt, sitzt die ganze Familie plaudernd auf der Treppe vor dem Haus. Die prächtigen, gelben, blauen, rosa oder türkisfarben Häuser mit den hübschen Patios und den buntgemusterten Steinplattenböden erzeugen ein extremes Ungleichgewicht zur kargen Inneneinrichtung: ein Tisch, ein mit Leder bezogener Holzstuhl, ein Gestell und ein Metallbett mit harten Holzlatten. Das grosse Leben findet draussen statt. Die Männer spielen im Park Domino, man trifft sich bei der grossen Treppe für die live Konzerte oder man schwingt das Tanzbein in der casa de la trova, im Liederhaus. Auch meine Füsse kommen in den Genuss von echtem kubanischem Salsa, Cha Cha Cha und Son. Lorenz und ich, wir freuen uns, über die entstehende Freundschaft zu meinem netten Tanzpartner und spendieren ihm gerne das gewünschte Getränk. Als er uns wenig später darauf hinweist, dass seine Kinder Geld brauchen und sowieso eigentlich seine ganze Familie und die ist gross – machen wir uns ärgerlich auf den Heimweg und tragen die grosse Naivität mit uns.
Am nächsten Morgen lassen wir uns tragen. Nach dem Frühstück auf der Dachterrasse im zarten Sonnenschein mit Blick auf die sanften Hügel treffen wir uns am Dorfrand mit Luis und zwei österreichischen Touristinnen. Ich schnalze mit der Zunge und Maruca schreitet los; vorbei an einfachen Holzhütten mit an Fruchtbäumen reich bestückten Gärten davor. Bei einem Häuschen macht Luis eine kurze Pause, trinkt auf dem Pferd einen Kaffee und holt uns wenig später wieder ein. Ein kleiner Hund schliesst sich unserer Gruppe an und begleitet uns die nächsten fünf Stunden. Wir traben über die rote Erde, durch den Bananenwald, schreiten durch den Fluss, stapfen durch den Schlamm und loben unsere Pferde, wenn es sehr steil nach oben oder unten geht. Der steinige Weg führt uns an verschiedenen Palmensorten vorbei – und ja, wir haben es schon immer gewusst: wir sind Cowboys! Lorenz blüht auf in seiner neuen Rolle und treibt seine Gaviota mit der Rute bis zum Galopp und verschwindet im Wald. Am Fluss dürfen sich unsere Pferde ausruhen und wir plantschen im kühlen Nass des Wasserfalls. Nach dem ersten erfrischenden Tauchen im tiefen Becken setzen wir uns in den Whirlpool und die Eidechsen schauen uns zu.
Playa Ancón bei Trinidad
Das Meerwasser am nächsten Tag an der Playa de Ancón ist nicht so erfrischend. Aber wir tauchen das erste Mal in unserem Leben im Korallenriff und sehen bunte Fische. Wir wundern uns, dass niemand mit uns das wunderbare Stückchen Natur teilt und geniessen das Robinson-Gefühl.
Ankommen und lernen
Wir schreiben den 13. August 2016 wir sind in Kuba und wir feiern den 90. Geburtstag von Fidel Castro Ruz.
Lange musste sich Camagüey, trotz der vermeintlich sicheren Lage im Landesinneren, verheerenden Piratenüberfällen stellen. 1668 brannte Henry Morgan die Stadt fast vollständig nieder. Doch die Camagüeyanos liessen sich nicht so schnell entmutigen: sie bauten ein labyrinthartiges Strassensystem. Die Bewohner konnten schnell flüchten, die Piraten aber verirrten sich. Damit uns dies nicht passiert, holt uns Eugenio, der Perkussionslehrer von Lorenz, zu Hause ab. Der Unterricht findet im Saal des Sinfonieorchesters statt; ein kahler Raum mit vielen Ventilatoren, unbequeme Stühle und geflickte Instrumente. Netterweise werde ich von den Profis ermuntert, ihr hochwertiges Musizieren mit meinen ersten Clave- und Guiro- Versuchen zu ruinieren. Die Guiro ist eine kürbisähnliche Frucht, mit der man im getrockneten Zustand und mit Kerben versehen ein Ritsch-Ratsch-Sound erzeugt. Die Claves kenne ich aus dem Kindergarten als Schlaghölzchen- jetzt weiss ich endlich wie man sie richtig spielt und kenne deren wichtige Bedeutung in der kubanischen Musik.
Früchte- und Gemüsevelo in Camagüey
Wir irren gerne durch die Gassen und fühlen uns wohl im Osten Kubas. Vielleicht haben wir uns einfach langsam an das karibische Leben gewöhnt, vielleicht hat es hier weniger Touristen – aber auf jeden Fall sind die Menschen hier noch freundlicher und das Leben spielt sich noch gemütlicher ab. Ich merke, dass ich eher zu misstrauisch, zu ängstlich bin. Ausflüge können ohne Problem auf der Strasse organisiert werden. Ich musste mich noch nie fürchten auf dieser Insel. Wenn ich einmal ohne Lorenz unterwegs bin, werde ich vielleicht angeflirtet – aber immer mit Respekt. Ich staune sowieso über den respektvollen Umgang mit Frauen. Die jungen Kubanerinnen füllen das Wort „sexy“ vollends aus und kleiden sich dazu gerne eng und knapp. Und diese Kombination wird ihnen nie zum Problem.
Wir haben uns langsam damit abgefunden, dass man ausserhalb des Hauses tagsüber meistens schweissnass ist. Und hier habe ich auch gelernt, dass Sonnenstrahlen ein Eigengewicht haben. Nachmittags drückt dich die Sonne platt auf den Boden. Mein Hütchen nützt da herzlich wenig. Zum Glück habe ich meinen Knirps dabei; ich kopiere die Kubanerinnen und gehe mit Schirm auf die Strasse.
In Santiago de Cuba gehen die Strassen rauf und runter. Das ist neu und interessant für uns, bisher waren wir in flachen Städten unterwegs. Im Schatten der Häuserblocks spielen die Kinder Fussball, mit Ball oder Petflasche, oder sie murmeln. Die alte Hafenstadt ist voll von Musik und afrikanischen Einflüssen. Noch nie war ich so pausenlos eingelullt in Gesang und Rhythmus. Es klingt sehr plakativ, aber ich muss es trotzdem sagen: in jeder Kneipe, in jedem Restaurant und auf der Strasse wird musiziert und getanzt. Da wo die Touristen sind, hört man immer wieder „Guantanamera“ mit dem Text von José Marti, dem viel gereisten kubanischen Schriftsteller, Dichter und Freiheitskämpfer. Das Lied besingt eine Bäuerin aus Guantanamo. Den berühmten Karneval haben wir in jeder Stadt verpasst: entweder war er gerade vorbei als wir ankamen oder wir mussten früher abreisen. Aber in der Casa de la Trova kommt man schon mittags in den Genuss von live Musik – und dann versammeln sich meist nur Einheimische. In der Casa del Queso wird wild getanzt, obwohl es eigentlich keinen Platz hat. An der Plaza de Marte im Patio de los dos abuelos, im Salón del Son oder im Jazz Club Iris gibt es dann sogar freie Stühle zum Hinsetzen. Und zum Hinlegen mussten wir nur um zwei, drei Ecken schlendern und dann hat uns unsere Gastmama die Tür geöffnet. Wir wurden sehr herzlich von Tamara und Andres im Oldtimer empfangen und in den Tagen, die wir bei ihnen verbrachten, haben sie uns jeden Wunsch von den Augen abgelesen. Sie haben ganz besonders fein für uns gekocht und Lorenz konnte vor dem Essen auf der Dachterrasse den grossen Frachtschiffen beim Rangieren zusehen. Andres baut ausdauernd an weiteren Gästezimmern; auf der Dachebene ist unverhofft neuer Platz entstanden. Der Hurrikan Sandy liess ein aus Lehm und Holz gebautes Kolonialhaus Ende 2012 einfach verschwinden.
Aber die Geschichte, die Erinnerung, der Einfluss der aus Haiti geflüchteten Kaffee- und Zuckerfarmer mit ihren Sklaven – all dies verschwindet nicht. Santiago de Cuba gilt als die Wiege des Son. Und hier im Wohnzimmer lernen Lorenz und ich die ersten Schritte des gefühlvollen Paartanzes in Contratiempo. An drei Tagen gibt uns Carlos Privatunterricht und teilt sein immenses Wissen mit uns. Glücklicherweise hat seine Tanzgruppe gerade Ferien, sein Unterricht fällt aus und er hat Zeit, zwei Schweizer in die tanzende Kubageschichte einzuführen.
Geschichte wurde auch im Parque Céspedes geschrieben: da verkündete Fidel Castro am 1. Januar 1959, vom blauen Balkon des Rathauses aus, den Sieg der Revolution. Sieben Jahre zuvor bereitete er in der Sierra Maestra Batistas Sturz vor.
Und um sieben Uhr beim Frühstück erfahren wir noch ein Geheimnis der Sierra Maestra: dahinter versteckt sich nämlich jeweils der Vollmond. Ja, wir haben es mit den eigenen Augen gesehen: die dunklen Berge, der blaue Himmel, der ins Hellblaue und weiter oben in ein zartes Rosa wechselt und der grosse, volle Mond. Ich trinke Kaffee und der Mond schleicht sich ziemlich schnell hinter den Berg.
Zwölf Stunden später begrüsst er uns hinter den Bergen über dem Meer. Wir stehen auf unserer neuen Dachterrasse und blicken ihm direkt ins Gesicht, dem vollen grossen Mond. Nach der romantischen Fahrt im Viazul Bus der Küste entlang und über die kurvenreiche Gebirgsstrasse La Farola können wir unser Glück in der weltabgeschiedenen hübschen Stadt kaum fassen. Ich fühle mich wie ein Püppchen, das durch die selbst gebaute Spielzeugstadt spaziert. Hier findest du schnell Freunde; man läuft sich nämlich dauernd über den Weg. Und Kolumbus war auch hier: er rammte 1492 ein Holzkreuz in den Boden, weil er dachte, er sei in Indien.
Bicitaxi
Im Städtchen ist es ruhig; hier verkehren hauptsächlich Bici-Taxis, Autos sieht man sehr selten. In dieser armen Gegend wird gerne getauscht und ich freue mich, dass nun hübsche, karibische Girls in meinen Kleidern flanieren.
Das überschaubare Dorf liegt am Fusse des markanten Tafelbergs „El Yunque“. In den sanfte Hügeln findet man auch den letzten zusammenhängenden Regenwald der Karibik, den Humboldt Nationalpark. Ich habe noch nie so viele Palmen gesehen. Wir wandern über riesige, trockene Palmblätter und an Bergen von Kokosnuss-Schalen vorbei. Und was mich natürlich ganz besonders freut: hier wird Kakao angebaut! Bei einer einfachen Bauernfamilie irgendwo im Wald können wir den ganzen Verarbeitungsprozess von der Frucht am Baum bis zur Schokolade mitverfolgen. Unser Lieblingsdessert wurde der warme Schoko-Coco. Kokosnuss wird hier mit Zucker und Milch schon zum Frühstück serviert. Und auf der Wanderung zur Höhle der Indios durften wir ultra frische Kokosnuss essen und die Milch trinken: direkt von der Palme geschlagen und mit der Machete geöffnet. Da es im Wald keine Trinkhalme gibt, habe ich wegen der unhandlichen Frucht einiges daneben geleert, aber ich konnte mich ja später tief unten in der Höhle im verborgenen, klaren Wasser waschen. Hier lebten früher die Indios. In den Höhlen kann man sich auch heute noch gut vor Stürmen schützen. Die einfachen Holzhäuschen sind dann ja schnell mal weggeblasen. Diesen Waldabschnitt, erreicht man nur über einen abenteuerlichen Holzsteg, der über den Río de Miel führt. In dieser Gegend fliessen 29 Flüsse ins Meer und all die hübschen Buchten zaubern wunderbare Strände hervor. Und in dieser unglaublich hübschen Gemütlichkeit dürfen wir fünf ganze Tage verbringen. Lorenz übt jeden Tag in der Perkussionsstunde mit José Carlos bei geöffnetem Garagentor im Wohnzimmer, das auch gleichzeitig das Schlafzimmer der Grosseltern ist. Manch ein Europäer würde diese Räumlichkeiten nicht einmal als Gartenschuppen benützen und hier in der Karibik lebt eine junge Familie mit den Grosseltern auf engstem Raum zusammen.
Abenteuerlicher Steg über den Río de Miel bei Baracoa
Nach der Musikstunde trifft sich Lorenz jeweils mit mir in der Casa de Cacao zur Tanzstunde bei José López Milan. Hier vertiefen wir unsere Son-Kenntnisse. Abends an der traditionellen Musik- und Tanzaufführung fällt es mir schwer, meinen Mund wieder zu schliessen. So staune ich über die rasante Eleganz und ausdrucksstarke Freude der Tänzerinnen.
Wir haben gestaunt, geschwitzt und gelernt und schon geht unsere grosse Reise zu Ende. Wir werden mit dem Velotaxi zum Flughafen gefahren (Lorenz hilft bergaufwärts beim Schieben) und nehmen grossartige Erinnerungen mit.
Ich habe sogar ein neues Lebensziel: ich möchte einmal stolze Besitzerin eines Schaukelstuhls sein!
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